99 Stunden voller Willenskraft
4 Tage und 3 Stunden hatte Martina Schmit Zeit, um 400 Kilometer zu laufen. Die besondere Motivation dabei: Es war auch für einen guten Zweck. Die Ultrasportlerin wollte Spendengeld für die Betreuung von behinderten Menschen erlaufen. Hier ihr Bericht.


Der Hund als treuer Begleiter für Ultraläuferin Martina Schmit
Es ist der 23. Juni 2010. Ort: Privatinitiative Special Homes in Stockerau. Marienheim-Haustechniker Leo verstaut kurz vor 8 Uhr sämtliche Kleidung, Getränke und Speisen im Begleitbus. Auch Begleiträder. Eine logistische Meisterleistung. Mein Nervosität steigt. Einige Läufer vom Laufclub Ruppersthal und zwei Radbegleiter treffen ein. Da ist auch noch die stellvertretende Bürgermeisterin von Stockerau und sogar einige Medienleute.
Dann der Start. Die Polizei begleitet uns durch Stockerau zur „Alten Au“, wo wir den Radweg Richtung Wien einschlagen. Kurz vor dem Kraftwerk verabschieden sich meine Laufbegleiter. Als spezielle Begleitung ist Heimhund Bailys dabei. Kurz vor Wien treffen wir Leo mit dem Bus, zugleich die erste Labestation für mich. Baileys steigt auf den Bus um.
Hochwasser sorgt für nasse Füße
Weiter Richtung Wien. Auf der Donauinsel machen wir kurze Rast: Eis essen. Die weitere Route führt über die Lobau Richtung Hainburg. Bedingt durch den starken Regen der letzten Wochen stoßen wir auf ein Schild „Umleitung“. Es herrscht Hochwasser. Wir entscheiden uns, den gesperrten Weg doch zu riskieren, weil wir sonst einen Umweg von ca. fünf Kilometern in Kauf nehmen müssten. Ich hol mir nasse Füße. Die Schuhe kann ich aber erst nach weiteren 15 Kilometern wechseln, weil Leo mit dem Bus nicht zur abgesperrten Strecke darf.
Die Freude auf den Schlaf
Nun wird es fad. Die Laufstrecke verändert sich kaum, ich komme mir vor wie auf einem Laufband. Ständig das gleiche Bild, drei Stunden lang, wie eine Bildtapete. Kurz vor Hainburg: Ich nehme prompt den falschen Weg und lande mit Bailys auf einer stark befahrenen Strasse. Nach vier Kilometern endlich wieder ein Radweg. Zuvor heißt es aber noch Fußmarsch über ein Kleefeld. Leo hat in der Zwischenzeit ein Quartier gesucht. Wir treffen um 20 Uhr in Schlosshof ein und freuen uns auf Dusche und Essen. Ich freu mich vor allem auf Schlaf.
Der zweite Tag bringt erste Probleme. Weiter auf Seite 2!
Tag 2: Wir beschließen um halb acht ohne Frühstück zu starten. Wir erreichen Marchegg, dort gibt’s eine ordentliche Stärkung. Weiter nach Angern und Dürnkrut. Es ist fast Mittag. Ich spüre, dass die Sehnen im Knöchelbereich schmerzen. Ich bin alleine. Mit meinen Gedanken bei den Schmerzen. Die werden leider zunehmend schlimmer. Muss ich aufgeben? Gegen 14 Uhr trifft Leo ein. Mein Fuß erhält Tape und Bandage.
Nun wird auch die Strecke anstrengender, ein paar Hügel warten auf mich. Dieser Tag hat es in sich. Ich bin schon ziemlich erschöpft. Ich laufe bis kurz vor 21 Uhr. Die Schmerzen sind natürlich nicht weg. Meine Panik, nicht mehr weiter laufen zu können, steigt.
Im Nirgendwo …
Tag 3: Um 7 Uhr geht es los Richtung Laa. Wieder kein Frühstück! Bei Wildendürnbach treffe ich auf neue Radbegleitung. Charly und Fred. Charmant. Mein Fuß ist besser geworden, die Schmerzen sind einigermaßen erträglich. Nächste Station Wulzeshofen, Bailys will nicht mehr laufen. Ich gebe aber nicht auf. Haugsdorf über den Radweg, wieder etliche Steigungen, weil ich eine Abkürzung nehme. Selber schuld …
Plötzlich führt die Strecke steil bergauf und dann kurz wieder bergab. Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Beides ist bereits mühsam und schmerzvoll. Dazu ist es extrem windig. Dann die Überraschung: Felder. Feldwege. Weinberge. Und … tschechische Schilder! Wir haben uns verlaufen und sind im Nirgendwo. Ich bin fast am Verzweifeln. Nach weiteren 20 Minuten sehen wir alte Grenztürme. Hier sind wir offensichtlich richtig. Und dann der Kulturschock: Excalibur City, das Mega-Einkaufszentrum an der Staatsgrenze.
Rettung in Form eines Käsekornweckerls
Ich rufe Leo an. Er holt uns ab und setzt uns Minuten später wieder ab. Kleinhöflein. Niederfladnitz. Merkersdorf bei Hardegg. Ich bin total erschöpft, brauche was zum Essen. Keine Rettung in Sicht. Da! Ein Geschäft. Und ein Käsekornweckerl für mich, das ich so gierig esse, dass mir gleich schlecht wird. Danach weiter nach Hardegg. Die Strecke führt durch eine wunderschöne, fast mystische Gegend, jedoch anstrengend zu laufen.
Um halb acht am Abend sind wir kurz vor Geras. Leo beendet die Betreuung, am vierten Tag wird mein Mann Martin mit dem Auto dabei sein. Mit Jutta gibt es auch eine neue Radbegleiterin. Im Hotelzimmer siegt schnell die Müdigkeit und reißt mich mit in einen tiefen Schlaf.
Geht es sich aus für Martina? Weiter auf der nächsten Seite!
Tag 4: Endlich wieder ein ordentliches Frühstück! Heute will ich es bis Langenlois schaffen. Es geht gut voran, herrliches Wetter, fast schon zu heiß, aber Gott sei dank kein Regen. Jutta kennt die Radwege ab Rosenburg sehr gut, was mir eine große Hilfe ist.
Komplette Erschöpfung
Die Strecke ist weiterhin sehr hügelig und anstrengend für die Oberschenkel und Knie. Wir erreichen Kammern. Dann Engabrunn. Jetzt beginnen die Kellergassen, die Gegend ist mir vertraut. Mein Wohnort ist ja nur 30 Kilometer entfernt. Ich habe ca. 370 km hinter mir. Noch 30. Jetzt fahren wir einen Teil der Strecke mit dem Auto ab. Wir wollen genau wissen, wo ich am Finaltag laufen muss. Diesmal übernachte ich zu Hause. Ich bin komplett erschöpft, kann aber nur schlecht schlafen.
Tag 5: Das Finale. Start um 8 Uhr in Engabrunn. Meine Orientierung lässt mich im Stich. Ich laufe wie eine Irre dreimal durch Gösing, weil ich die richtige Strasse nicht finde. Martin ist schon mit dem Auto Richtung Ruppersthal vorausgefahren und meine neue Begleiterin Barbara ist leider ortsfremd. Eine Ortsbewohnerin weist uns den richtigen Weg. Gottseidank!
Entspannung, Genuss und bewegende Momente
Ich versuche von nun an ganz entspannt zu laufen. Ruppersthal erwartet mich um 12 Uhr, ich bin viel zu früh dran. Dann beginnt auch noch der lädierte Knöchel zu schmerzen. Gleich ist Mittag. High Noon für mich! Ich genieße die letzten Meter bis zur Festbühne. Ein erstes Interview. Ich vergesse fast alles, was ich sagen wollte. Dann die Scheckübergabe an die Special Homes. Ich darf mich freuen. Es sind 1.730 Euro zusammengekommen. Die Behinderten und deren Angehörigen bedanken sich überschwänglich bei mir. das berührt mich.
Ich habe wieder gesehen, was man mit Hartnäckigkeit und Willenstärke erreichen kann. Ich bin stolz, nicht aufgegeben zu haben, obwohl die Schmerzen groß waren. Ich danke allen Begleitern, ohne die ich es nicht geschafft hätte. Und ich bin natürlich besonders dankbar für die Spendengelder!
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